Die Vorstandsecke
Ein Beitrag von Bernhard Schmidt
FÜNF SCHRITTE INS ALL:
Plädoyer für ein weitreichendes deutsches Raumfahrtprogramm
1. Analyse
Ein Beitrag von Bernhard Schmidt
Im Jahre 1988 dem Gründungsjahr des VFW herschte in der deutschen Öffentlichkeit überwiegend geringes Interesse, wenn nicht gar Ablehnung, gegenüber dem deutschen Raumfahrt-Engagement. Die Information über Raumfahrtprojekte war eher bescheiden. Damals gab es weder das Internet noch die deutsche Raumfahrtorganisationen DARA (Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten) und DLR (Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt) Stattdessen gab es deren Vorläuferorganisation DFVLR (Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt), deren Kommunikation sich eher auf die Fachwelt als auf die breite Öffentlichkeit richtete. Auch die ESA (European Space Agency) wirkte kaum in der europäischen Öffentlichkeit.
Es war in dieser Zeit also schwer für Laien, an aktuelle Informationen zu kommen. Für Lehrer, die Raumfahrt in ihren Physikklassen behandeln wollten, gab es nur wenige geeignete offizielle Informationsquellen. In dieser Phase wurde der VFW gegründet, der Verein zur Förderung der Weltraumforschung e.V., der Jahre 1997 in VFR e.V. umfirmierte, um der inzwischen erfolgten gesamtheitlichen Behandlung der Raumfahrt Rechnung zu tragen. In all den Jahren verfolgte der Verein die Absicht, das Informationsdefizit zu verringern und sich für die Popularisierung der Raumfahrt in Deutschland einzusetzen.
Dieses Ziel ist inzwischen nicht mehr im Vordergrund. Die Raumfahrt nimmt heute in unserem Leben und der öffentlichen Wahrnehmung einen viel bedeutenderen Platz ein als noch vor 15 Jahren. Sie ist insbesondere in den Medien ständig präsent. Die Fernsehsender wetteifern geradezu mit Raumfahrt-Dokumentationen und Berichterstattungen über aktuelle Raketenstarts und Missionen wie die Marslandungen von BEAGLE 2 und SPIRIT vergangenen Dezember. Praktisch jede Woche bringt ein Sender irgendeine Dokumentation über Raumfahrt. Auch die Werbung hat Raumfahrt entdeckt: „Space“ assoziiert Faszination und Leistung, und hebt sich damit wohltuend von der aktuellen „Billig-Welle“ ab.
Schier unbegrenzt ist auch die Raumfahrt-Informationsflut im Internet. Praktisch alle westlichen Weltraumorganisationen, etliche Forschungsministerien und Forschungs-einrichtungen, unzählige Vereine und ebenso viele Anbieter privater Webseiten bieten Raumfahrt ohne Ende in Wort, Bild und Film. Raumfahrt ist praktisch für jedermann mit Internetanschluss zugänglich. Barrieren und Blockaden existieren höchstens dort, wo geopolitische, industrielle oder strategische Interessen im Spiel sind.
So gesehen hat der VFR e.V. sein ursprüngliches Ziel erreicht: Raumfahrt ist populär. Damit verliert er aber auch an Bedeutung und Profil. Im Wettbewerb mit den Öffentlichkeitsbudgets der Raumfahrtorganisationen oder den medialen Möglichkeiten der Fernsehsender kann der VFR e.V. als Informationsquelle immer weniger bestehen. Während eines Strategieworkshops auf der vergangenen Mitgliederversammlung in Berlin am 22. November 2003 wurde dieses Dilemma diskutiert und Lösungen gesucht. Ausgangspunkt war dabei die Zukunft der Raumfahrt.
Trotz breiter öffentlicher Zustimmung und auch Begeisterung steckt die globale Raumfahrt in einer schwierigen Orientierungsphase. Nach dem Ende des kalten Krieges haben die USA den lang erkämpften globalen Spitzenplatz erreicht, Russland hat den technologischen Anschluss verloren, Europa sucht ein eigenes Profil und China bemüht sich, Anschluss zu finden, wenn auch scheinbar getrieben durch die Motivationselemente der Raumfahrt-Pionierzeit: Prestige sowie militärische und strategische Überlegenheit. Angesichts der ambitionierten Ziele der chinesischen Raumfahrt scheint der alte, in den USA scheinbar verloren gegangene Pioniergeist nun im Reich der Mitte eingekehrt zu sein.
Trotz der kürzlichen Erfolge der NASA mit dem Marslander SPIRIT sowie dem Kometenstaubsammler STARDUST sowie immenser Ausgaben für militärische Raumfahrtprojekte ist die US Raumfahrt im Grundsatz orientierungslos. Ihre zwei Kernelemente ISS und Shuttle haben an Tragfähigkeit und Bedeutung verloren; der Shuttle aus Gründen technischer Veralterung und immenser Betriebskosten, die ISS aus Gründen ihrer eingeschränkten Nutzungspotenziale und der ungeliebten Abhängigkeit von russischer Technologie und Transportkapazität.
Leute wie Robert Zubrin beklagen öffentlich ISS und Shuttle als Sackgasse und fordern eine Neuorientierung hin in Richtung einer bemannten Eroberung des Sonnensystems. Laut Zubrin war Apollo erfolgreich, weil damit ein klares Ziel verfolgt wurde, das wiederum bei ISS und Shuttle fehlt. Er glaubt, ein neues Ziel wie der Mars könne wieder die nationalen Energien und Fähigkeiten mobilisieren wie zu den Apollo-Zeiten in den 60iger Jahren. Es gibt auch Stimmen, die sogar die Einstellung des ISS- und des Shuttle-Programms zugunsten eines Marsprogramms empfehlen.
Europa ist ebenfalls auf der Suche nach einer neuen Raumfahrtidentität. Zu viele Hoffnungen wurden in die ISS gesetzt, zumal in Deutschland. Zu groß nun auch die Enttäuschung, zusehen zu müssen, wie sich der Aufbau aufgrund technischer und finanzieller Probleme der Amerikaner und Russen verzögert und eine vollständige wissenschaftliche Nutzung in weite Ferne rückt. Die einst als herausragendes Beispiel für internationale Raumfahrtkooperation gepriesene Station ist für den Juniorpartner Europa vorerst ohne Nutzen. Die in Deutschland seit Jahrzehnten mit SPACELAB und COLUMBUS aufgebaute Expertise bei Raumstationen droht ins Leere zu laufen. Ohne Weiterentwicklung oder Nutzung des vorhandenen Know-hows wäre COLUMBUS eine Fehlinvestition.
Insgesamt scheint sich Europa auf die eher praktischen und Nutzungsnahen Raumfahrtvorhaben auszurichten. Dies wird deutlich im ersten europäischen Raumfahrtstrategiepapier der EU Kommission, dem „White Paper Space: a new European frontier for an expanding Union An action plan for implementing the European Space policy“. Dieses Papier beschreibt die zukünftige Rolle der Raumfahrt in und für Europa. Alle Europäischen Staaten waren eingeladen, an diesem Papier mitzuwirken, das irgendwann in diesem Jahr offiziell vorgestellt wird. Ein vereintes Europa braucht konsequenterweise auch eine einheitliche Raumfahrtstrategie. Natürlich sind die vorgeschlagenen Empfehlungen noch nicht bindend sondern eher ein Orientierungsrahmen, der erst langsam und dann auch nicht vollständig in der EU umgesetzt werden wird. Aber er beinhaltet klare Aussagen zum Stellenwert der Raumfahrt in und der Bedeutung für Europa. Raumfahrt ist darin ein Mittel zur Unterstützung der Umsetzung elementarer politischer, kommerzieller und gesellschaftlicher europäischer Interessen. Die Haupt-Elemente dieser Strategie sind:
Globale Überwachung der Erde zum Schutz der Umwelt und der europäischen Sicherheit im Rahmen des GMES-Programms (Global Monitoring of Environment & Security)
Flächendeckender Internet-Zugang für alle Europäer zur Förderung der europäischen Integration, der Chancengleichheit und des Bildungsniveaus (Digital Divide)
Galileo: das europäische Pendant zu GPS
Strategische Unabhängigkeit beim Zugang zum Weltraum über Ariane
Stärkung des Know-how bei Raumfahrt-Wissenschaft
Schaffung eines Wettbewerbsorientierten Umfeldes zur Stärkung der Raumfahrtindustrie
Förderung internationaler Partnerschaften
All diese Ziele und Programme dienen letztlich der positiven Entwicklung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten in Bezug auf:
Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit
Erweiterung der Union
Nachhaltiges Wachstum
Sicherheit/Verteidigung
Verminderung der Armut
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Dies ist aus Sicht des VFR e.V. ein sinnvolles und notwendiges Raumfahrtprogramm für Europa und verdient die volle Unterstützung. Es ist vernünftig, orientiert sich am Nutzen und bleibt im finanziellen Rahmen. Aber es hat auch einen großen Nachteil: mit diesem Programm wird die Beschränkung der Raumfahrt auf die Erde festgeschrieben. Raumfahrt im eigentlichen Wortsinn und nach dem Verständnis der Pioniere war immer die Befahrung und Eroberung des Weltraums durch Menschen: Astronauten, Wissenschaftler, aber auch „Goldsucher“, Auswanderer und Neugierige. Und damit verfolgt Europe einen anderen Weg als den die USA und vermutlich auch China einzuschlagen beabsichtigen, auch wenn dies derzeit noch nicht sicher ist. Vielleicht sieht das Zukunftsszenarium so aus: China zum Mond, USA zum Mars und Europa bleibt auf der Erde?
Der VFR e.V. ist davon überzeugt, dass auch Europa langfristig die bemannte Eroberung des Planetensystems in Angriff nehmen sollte aus mehreren Gründen:
Trotz oder gerade wegen der etwas ernüchternden Erfahrungen mit internationaler Kooperation bei der ISS ist es sinnvoller, die Raumfahrtnationen dieser Welt auf ein ambitioniertes Ziel einzuschwören als wieder einmal in einen Wettlauf um Prestige und Technologie einzutreten.
Der Gewinn an Wissen und Erfahrung bei der bemannten Erforschung unseres Sonnensystems und der Bewältigung der sich stellenden technischen und menschlichen Herausforderungen ist nicht unerheblich, wenn auch nicht vorab abschätzbar
Die Kosten eines solchen Programms sind für sich genommen hoch, aber relativ gering im Vergleich zu den Kosten die während der gleichen Zeit anderweitig „verschwendet werden, z.B. für ausschließlich prestigeträchtige Ziele.
Stillstand bedeutet Rückschritt, auch in der Raumfahrt. Apollo hat gelehrt: nur ein ambitioniertes Ziel spornt eine Nation zu Höchstleistungen an.
Schließlich lehrt die Erdgeschichte, dass die Gefahr der Auslöschung des Lebens auf der Erde durch kosmische Ereignisse real ist. Nur eine Erdbevölkerung mit ausreichenden Raumfahrtkenntnissen wäre in der Lage, eine solche Gefahr abzuwenden.
Diese Sammlung von Gründen ist natürlich subjektiv und bietet Raum für kontroverse Diskussionen, gerade weil die bemannte Raumfahrt sich nicht mit rationalen wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Argumenten schlüssig begründen lässt. Raumfahrt als Hilfsmittel im täglichen Leben ist weitgehend akzeptiert, Raumfahrt als Unternehmung per se aber nicht. Das Ziel des VFR e.V. ist es nun, gerade diese Diskussion um die Ausrichtung der Raumfahrt wieder anzustoßen. Die ISS ist für den VFR nicht die Endstation der globalen Raumfahrt, sondern eine Zwischenstation auf dem Weg ins All.
Der VFR stellt dafür das Raumfahrtprogramm „Fünf Schritte ins All“ zur Diskussion und lädt alle Interessierten ein, sich damit kritisch auseinanderzusetzen und gemeinsam mit dem VFR weiterzuentwickeln.
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2. Das VFR-Raumfahrt-Programm
für Deutschland und Europa
Schritt 1:
Fertigstellung der Internationalen Raumstation.
Die Internationale Raumstation ist das erste multidisziplinäre, internationale Forschungszentrum der Menschheit im Weltraum. Sie ist Erprobungsstation und Ausgangspunkt für die weitere Erkundung des Weltraums durch den Menschen. Dort werden Verfahren, Materialien und Technologien entwickelt und verifiziert, die dann an ihren Bestimmungsorten fernab von der Erde eingesetzt werden. Sie ist Schulungs- und Testzentrum für Astronauten und Ausrüstung, und sie ist Forschungslabor für jegliche Anwendung, welche Schwerelosigkeit benötigen.
Schritt 2:
Forschungsflüge zu den Librationspunkten 1 und 2.
An diesen für wissenschaftliche Zwecke äußerst vorteilhaften Positionen sind schon heute und werden in Zukunft noch mehr Forschungssonden stationiert sein. Die Librationspunkte 1 und 2 sind vom wissenschaftlichen Standpunkt hoch interessant, an diesen Punkten wird Wartungsbedarf für teure Raumsonden bestehen, sie sind nur wenige Reisetage von der Erde entfernt, energetisch leichter erreichbar als eine Mondumlaufbahn und bieten dem Menschen ein erstes Testfeld für Tiefraum-Einsätze. Der Verein zur Förderung der Raumfahrt befürwortet daher die Errichtung je einer „Man-tended-Facility“ an jedem der beiden genannten Librationspunkte.
Schritt 3:
Die Rückkehr zum Mond. Errichtung einer permanent 'besetzten Forschungsstation im Aitken-Basin am Mondsüdpol.
Erprobung der Mars-Architektur in der Mondumlaufbahn und auf der Mondoberfläche. Rückkehr und wissenschaftliche Untersuchung zu mindestens einer der Landestellen von Apollo 15, 16 oder 17 . Durchführung von Forschungsmissionen zur Aitken-Station mit Besatzungsrotation im Rhythmus von 4-6 Monaten. Errichtung Astronomischer Beobachtungsplattformen speziell für die Zwecke der Radioastronomie hinter dem Erdhorizont, in geringer Entfernung von der Aitken-Basis.
Schritt 4:
Forschungsmissionen zu erdnahen Asteroiden und den
beiden Marsmonden.
In Vorbereitung auf die Marslandung den Flug zu und die Landung auf erdnahen Asteroiden. Forschungsmissionen von neun bis zwölf Monaten Dauer. Errichtung strahlungssicherer Unterkünfte auf Phobos. Erkundung des Deimos.
Schritt 5:
Landung auf dem Mars und Erforschung seiner Oberfläche.
Schaffung einer zunächst unbemannten Infrastruktur auf Basis des „Mars-Direkt-Planes“ von Robert Zubrin. Danach auf dieser Basis die Errichtung einer permanent von Menschen besetzten Forschungsstation.
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