Die Vorstandsecke

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01.09.2001:
SARLupe -
ein Beispiel für verfehlte Industriepolitik?
(eine Betrachtung von Bernhard Schmidt, VFR-Vorsitzender)

In der Presse der letzten Tagen war von einem Satellitenprojekt namens SARLupe die Rede. SARLupe ist ein radargestütztes Aufklärungssystems für die Bundeswehr (Erhalt von hochauflösenden Aufklärungs-bildern) und wurde vom Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) als wichtiges sicherheitspolitisches Instrument für Deutschland und Europa mit einem Gesamtauftragsvolumen von über 500 Mio. DM ausgeschrieben.

Nun soll ein Konsortium unter der Systemführerschaft der Bremer OHB System diesen Auftrag erhalten. Vertragsverhandlungen wurden bereits aufgenommen. Das Konsortium, dem u.a. Alcatel Space, Lockheed Martin und Saab Ericsson angehören, soll in den nächsten Jahren fünf Radarsatelliten in eine erdnahe Umlaufbahn schicken. Auf der Strecke bleibt damit ein deutsches Konsortium unter Führung der Firma Astrium, die ebenfalls angeboten hatte. Als einen Grund nennt die Presse den geringeren Preis von OHB.

Auf den ersten Blick scheint dies normaler Wettbewerbsalltag zu sein. Und doch birgt er eine Menge Brisanz. Das BWB fördert mit diesem Beschaf-fungsauftrag indirekt den Aufbau einer wichtigen Techno-logie – die der Radarsysteme für die Erdbeobachtung - in Frankreich, und das mit deutschen Steuer-geldern. Davon profitiert direkt auch noch der schärfste Konkurrent der Astrium: Alcatel Space, die im Unter-auftrag von OHB wesentliche Radarsysteme liefern.

Dabei wurde gerade die Radartechnologie von deutscher Regierungsseite wegen ihrer Bedeutung für zukünftige zivile und militärische Erdbeobachtungsanwendungen seit Jahren gefördert. Die vom deutsche Astrium-Vorläufer Dornier Satellitensysteme GmbH gebauten wissenschaftlichen Satellitensysteme ERS-1 und ERS-2 sind ein großer Erfolg und liefern eine Menge wertvoller Erd- und Atmosphärendaten. Der technologisch nächste Schritt sind die sogenannten SAR-Systeme („Synthetic Aperture Radar“), mit denen man hochauflösende Radar-Bilder aus dem All gewinnen kann.

Der erste operative Einsatz soll nun auf der SARLupe erfolgen, da hier seitens der Bundeswehr unmittelbarer Bedarf besteht, zum Beispiel zur Lageerkennung auf dem Balkan und zur Sicherung der deutschen Einsatz-kräfte vor Ort. Es sind auch zivile Satelliten mit dieser Technologie in Planung, z.B. der deutsche TerraSAR, dessen Radarbilder die nächste Generation von Geoinformationssystemen für die globalen Umweltkontrolle ermöglichen.

Von der richtigen Entscheidung bei SARLupe hängt also entscheidend der wirtschaftliche Erfolg dieser attraktiven Zukunftstechnologie und die Rolle Deutschlands dabei ab. Daher muss sich das BWB die Frage gefallen lassen, ob der geringere Preis von OHB den Bezug dieser Technologie von Alcatel Space und die Aufgabe eines strategischen Technologieschwerpunktes in Deutschland rechtfertigt. Ohnehin ist ja zu vermuten, dass Alcatel einen „strategischen Preis“ für seine Leistungen angeboten hat mit dem Ziel, seinen schärfsten Konkurrenten Astrium in dessen Heimat-
markt, mit Hilfe deutscher Behörden, zu verdrängen.

So gesehen hat das BWB sogar Industriepolitik betrieben – allerdings französische! Umgekehrt wäre es undenkbar, dass die französische Regierung deutsche Firmen französischen bei wichtigen Technologien vorziehen würde. Die Raumfahrt ist nach wie vor eine strategische Industrie, die von staatlicher Nachfrage geprägt ist. Im internationalen Wettbewerb sollten die deutschen Behörden die heimische Industrie stützen und nicht benachteiligen. Eine Auftragsvergabe an OHB bedeutet einen Arbeitsplatzabbau in Deutschland. Kann das denn im Sinne der Bundesregierung sein?

Die Entscheidung des BWB mag auch durch die Stützung eines mittelständischen Unternehmens motiviert worden sein. Nach dem -auch politisch gewollten- Zusammenschluss der Astrium, scheint sich nun ein gewisses Unbehagen ob der Größe dieser ersten Europäischen Raumfahrtfirma zu entwickeln. Mit der Entscheidung für OHB würde neben Astrium ein zweiter Systemlieferant in Deutschland entstehen. Nur, kann sich Deutschland zwei Satelliten-Systemhersteller denn auch leisten? Die Budgets stagnieren ohnehin auf geringem Niveau, verglichen mit Frankreich und Italien, von den USA ganz zu schweigen.

Möglich, dass Arbeitsplatz- und Kompetenzerhalt für das BWB keine relevanten Kriterien sind. Aber es sollte immerhin daran interessiert sein, dass SARLupe später auch funktioniert. Während Astrium bzw. ihre Vorläufer seit mehr als dreißig Jahren erfolgreich Satelliten bauen, hat OHB erst einen wissenschaftlichen Satelliten - Abrixas - eigenverantwortlich gebaut...
und der hat nicht funktioniert.


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