Die Vorstandsecke

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Positive Entscheidungen auf der ESA-Ministerratskonferenz

ein Beitrag von Bernhard Schmidt vom 28.11.01

Mit durchaus positiven Ergebnissen für die Bereiche Erdbeobachtung & Wissenschaft, Telekommunikation und Orbitale Infrastruktur/Transportsysteme ist die ESA-Ministerratskonferenz zu Ende gegangen, die unter Leitung der deutschen Forschungsministerin, Edelgard Bulmahn am 14./15. November im schottischen Edinburgh stattfand.

Am ersten Tag der Konferenz wurden die Weichen für eine engere Zusammenarbeit von ESA und Europäischer Union (EU) beschlossen. Ziel ist eine Neuausrichtung der europäischen Raumfahrt. „Gerade in solchen Bereichen, in denen die Raumfahrt Beiträge zur Umwelt, Landwirtschaft, zum Verkehr oder zur Sicherheit leisten kann, muss sie im Dienste der europäischen Bürger stehen", machte Ministerin Bulmahn deutlich. Buhlman hat sich damit mit ihrer Forderung nach mehr Pragmatismus in der Raumfahrt durchgesetzt.

Im programmatischen Teil haben die Minister in den eineinhalb Tagen eine mehr als anspruchsvolle Agenda abgearbeitet. Insgesamt wurde nach einem wahren Verhandlungsmarathon eine Gesamtsumme von 7,8 Milliarden EURO für neue Programme für den Zeitraum 2002 bis 2006 freigegeben (bei einigen unten genannten Programmbudgets weicht der Betrachtungszeitraum +/- 1 Jahr ab).

Deutschland behauptet Führungsrolle bei Erdbeobachtung

In der Erdbeobachtung kann Deutschland seine Führungsrolle in Europa behaupten. Der zweite Schritt des Erdbeobachtungs-Rahmenprogramms (EOEP-2) wurde bei einem derzeitigen Gesamtumfang von 926 MEURO mit 230 MEURO gezeichnet. Damit ist Deutschland gegenwärtig mit etwa 25 Prozent der größte Beitragszahler.

Es wurde auch für GMES, ein Programm für globale Umweltbeobachtung und Sicherheit, grünes Licht gegeben. Dieses Programm wird nicht nur von der ESA, sondern auch von der EU in Brüssel finanziell unterstützt. Die deutsche Beteiligung in Höhe von 25 Prozent eröffnet der deutschen Industrie einen erweiterten Handlungsspielraum beim Angebot von EO-Dienstleistungen. Davon dürfte nicht zuletzt auch der Geschäftsausbau bei Geo-Informationsdiensten profitieren, mit denen sich z.B. die Firmen GAF in München und Infoterra in Friedrichshafen beschäftigen.

Eine der Voraussetzungen für die neuen Geo-Informationsdienste sind neue Erderkundungssatelliten, die Daten in noch höherer Qualität zur Verfügung stellen. Astrium hat hierzu das Programm TerraSAR konzipiert. In Edinburgh gab die deutsche Delegation bekannt, dass der X-Band-Satellit des Programms national entwickelt werden wird. Der Schwestersatellit, der im L-Band arbeiten wird, soll im Rahmen der ESA als Earth-Watch-Initiative „Infoterra/TerraSAR“ realisiert werden.

Wissenschaftsprogramm: Anhebung ab 2003

Das Wissenschaftsprogramm der ESA litt in den vergangenen Jahren darunter, dass es zwar nominell konstant geblieben war, aber durch einen fehlenden Inflationsausgleich zu erodieren drohte. In Edinburgh kam es nach langem Ringen zu einem Kompromiss, für den sich die deutsche Delegation und das DLR stark gemacht hatten: Ab 2003 wird das Wissenschaftsprogramm jährlich um 2,5 Prozent angehoben. Insgesamt stehen für den Planungszeitraum 2002 bis 2006 rund 11869 MEURO zur Verfügung, davon ca. 469 MEURO für Deutschland.

Deutschland beansprucht Führungsrolle in der Satellitennaviagtion

In einer ungewohnt klaren Weise hat sich Deutschland hinter das geplante Europäische Satellitennavigationssystem Galileo gestellt. Galileo ist ein Gemeinschaftsprojekt von ESA und der EU zur Entwicklung und Betrieb eines Navigations-Satelliten-Konstellationssystems bestehend aus 30 Satelliten, das 2008 in Betrieb gehen soll und die europäische Variante und Weiterentwicklung zu GPS darstellt. In deutlichen Worten wurde der Führungsanspruch bei diesem grössten jemals von Europa geplanten Satellitensystem zum Ausdruck gebracht.

Unterstützt wurde dieser Anspruch durch die Zusage den Deutschen Anteil an der Finanzierung der nächsten Entwicklungsphase bis 2005 zum relativ grössten zu aufzustocken. Damit ergibt sich im Schema der europäischen Arbeitsteilung nach relativer Grösse der finanziellen Zuwendungen auch die industrielle Führung für die Deutsche Industrie und damit hauptsächlich die Firma Astrium. Es bleibt abzuwarten wie insbesondere Italien reagieren wird, das ebenfalls einen grosses Interesse an der Gewinnung dieser Führungsrolle hat. Da das notwendige Budget mit der Entscheidung Deutschlands jedoch schon komplett aufgefüllt ist, wird jede weitere Erhöhung seitens der Staaten, wahrscheinlich nichts mehr an den Verhältnissen des sogennanten geographischen returns ändern.

Telekommunikation zur Steigerung europäischer Wettbewerbsfähigkeit

Mit dem Zeichnen der ARTES-Programme (Advanced Research in Telecommunication Systems) soll die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie auf diesem Gebiet verbessert werden. In diesem Programm werden Technologien zur Breitband- und Mobilkommunikation über Satellit entwickelt und erprobt. Im Vordergrund stehen Anwendungen in der Multimedia- und Internet via Sattelit Technologie.

Insgesamt werden für den Navigations- und Telekommunikationsbereich von ESA insgesamt 1470 MEURO zur Verfügung gestellt, wovon der deutsche Anteil 213 MEURO beträgt.

Bemannte Raumfahrt/ISS

ESA ist weiterhin vertraglich verpflichtet, einen Teil der Ausbau- und Betriebskosten für die ISS zu tragen. Dies umfasst die Fertigstellung des europäischen Moduls, die Astronautencrew, Transportflüge mit Ariane 5 und den Bau des Versorgungsmoduls ATV. Überlagert wurde und wird die Diskussion um die ISS durch den „Young-Report“, der der NASA beim ISS-Programm eklatante Versäumnisse und Fehler beim Projektmanagement und Kostentreue vorhält. Der Report wird bei NASA und den Zulieferindustrien sowie beim weiteren Programmablauf zu Verschiebungen führen, von denen auch die europäischen Partner betroffen sein werden.

Ungeachtet dessen bereitet sich die ESA auf die zukünftige Nutzung der Station vor, durch Aufbau von Kompetenzen und Prozessen als Voraussetzung für die wissenschaftliche und kommerzielle Nutzung der Station. Der Nutzenaspekt gewinnt nicht erst durch Edelgard Bulmahn eine große Bedeutung für die zukünftige Rolle der ISS. Dem wird durch das ELIPS-Programm Rechnung getragen (European Program for Life and Physical Science).

Insgesamt 1036 MEURO reserviert ESA dafür, davon trägt Deutschland mit 367 MEURO den größten Anteil.

Reorganisation im Trägersektor

Einer der programmatischen Schwerpunkte des Ministerrates war die Forderung nach der Reorganisation der industriellen Strukturen für Entwicklung und Betrieb der Ariane. Die bisherige Struktur, die die Entwicklungs- und Vermarktungsverantwortung zwischen CNES, Arianespace und der Industrie nicht gerade effizient aufteilt, soll verbessert werden, damit Ariane auch zukünftig wettbewerbsfähig bleibt. Dazu wird voraussichtlich die industrielle Systemführerschaft für den Träger an EADS und die für den Antrieb an SNECMA übertragen.

Dies wird als notwendige Voraussetzung angesehen für den effektiven Einsatz weiterer Mittel für die technologische Verbesserung und die Leistungssteigerung von Ariane 5 sowie den Ausbau von Kourou. Knapp 1560 MEURO sind dafür vorgesehen, davon entfallen 375 MEURO auf Deutschland.


AURORA wurde nicht gezeichnet

AURORA ist ein Programmvorschlag, der Konzepte und Technologien für die Zeit nach ISS entwickeln soll, einen Langfrist-Plan zur unbemannten und bemannten Erforschung des Sonnesystems mit Schwerpunkt bei der Suche nach Spuren des Lebens. Der VFR hatte zusammen mit anderen Raumfahrtvereinigungen vor der Konferenz in einem offenen Brief an Ministerin Bulmahn appelliert, auch dieses Programm zu zeichnen. Leider vergebens. Das Gesamtprogramm hat einen Umfang von 14 MEURO.

Ungeachtet dessen war Edinburgh trotzdem ein Erfolg. Deutschland hat durch Edelgard Bulmahn in der europäischen Raumfahrt Akzente gesetzt und damit bewiesen, dass es eine gewillt ist, eine bedeutende Rolle zu spielen. Klare Schwerpunktsetzung bei gleichzeitiger Verpflichtung zu wichtigen Programmen hat sicherlich die Verlässlichkeit Deutschlands als Partner gestärkt, und ihm damit Handlungsspielraum verschafft. Das die Entscheidungen insgesamt etwas das Visionäre vermissen lassen, bedauert der VFR trotzdem.


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