Die Vorstandsecke

Verirrt auf Titan

Wer nicht das Glück hatte, die Landung der Raumsonde Huygens direkt im Missionskontrollzentrum mitzuerleben, oder dem Ereignis in einer Sonderveranstaltung beizuwohnen, wie etwa der vorzüglichen Präsentation des Österreichischen Weltraumforums in Salzburg, der musste mit der Berichterstattung in den Medien vorlieb nehmen.

Die Vertreter der Medien wiederum waren in ihrer Meinungsbildung und Recherche auf das angewiesen, was sie vom Programmverantwortlichen, in diesem Fall also von der Europäischen Raumfahrtbehörde, an Material geboten bekamen.

Und von der ESA aus musste die Messlatte für die Berichterstattung über dieses Thema sehr hoch angesetzt werden. Schließlich ging es doch um nichts weniger als die erste Landung eines Raumfahrzeugs auf einem Himmelskörper des äußeren Sonnensystems.

Raumfahrt-Insider sind schon seit langem irritiert über die Art, in der die ESA Top-Raumfahrtereignisse präsentiert. Die Unfähigkeit, aus technologischen Großleistungen und Missionen zu fremden Welten interessante Veranstaltungen zu machen, ruft bei den Raumfahrtenthusiasten immer wieder Entsetzen hervor. Auch diesmal schaffte es die Agentur dieses Raumfahrt-Mega-Ereignis vollständig zu banalisieren.

Was ist es denn, was Raumfahrt so spannend machen kann? Vielleicht sollte man es den Verantwortlichen in den sicher gut besetzten Public Relations-Abteilungen der Europäischen Weltraumbehörde einmal sagen: Es ist der Erfolg, der gegen alle Erwartungen und gegen alle Chancen dennoch eintritt. Es sind Einblicke in fremde Welten, zu sehen, was noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Es ist grenzenloser Jubel und grenzenlose Enttäuschung. Es ist technologisches und wissenschaftliches Neuland. Die Suche nach Erkenntnis. Es ist die Sehnsucht nach der unendlichen Ferne. Und noch vieles mehr, das stark emotional besetzt ist.

Die Mainstream-Medien, die normalen Tages- und Boulevardzeitungen, die Nachrichtenmagazine, die Radio- und Rundfunksender, stehen im Prinzip der Erforschung des Weltraums durchaus aufgeschlossen gegenüber. Sie sind bereit, alles was sie an Spannendem, Neuem und Bewegendem erfahren, für ihre Kunden positiv aufzubereiten.

Wichtig für diese Öffentlichkeit aber sind "Gusto-Stücke". Meine Nachbarn, meine Familie, die meisten meiner Freunde: Alle warten auf das Sahnehäubchen, auf ein "Aha-Erlebnis". Sie wollen von der Erde, vom hier und jetzt, in die Tiefen des Weltraums entführt werden und mit diesem kleinen Raumschiff auf einer fremdartigen, neuen Welt landen. In der Erwartung, genau für die Erfüllung dieses Wunsches von der ESA unterstützt zu werden, waren im Missionskontrollzentrum in Darmstadt hunderte von Medienvertretern versammelt. Bereit ihren Job zu tun und Europa und der Welt Titan zu präsentieren, den mysteriösen Eismond, dessen Oberfläche nie zuvor ein Auge geschaut hatte. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, ein Feuerwerk für die Medien zu zelebrieren.

Aber was war das? Ein Politiker wird interviewt, und dann noch ein Politiker. Ganz kurz ein Techniker, aber dem wird augenblicklich wieder das Wort entzogen, denn der ESA-Moderator hat einen weiteren Politiker entdeckt. Dann kommt ein Industrievertreter an die Reihe. Alle sagen ihre altbekannten Standardstatements auf.

Schließlich wird doch noch Technik präsentiert. Viewgraph 1, Viewgraph 2 gefolgt von fünf weitere Grafiken. Komplizierte Diagramme, die sich mit der Doppler-Verschiebung in der Frequenz der Trägerwelle, welche Huygens zur Erde sendet, befasst. Doch ja, schon ziemlich interessant für unsereinen, die wir täglich mit Raumfahrt zu tun haben. Wo aber bleibt der Eye-Catcher für das breite Publikum?

Nach langer, langer Zeit schließlich das erste Bild. Unwirklich, grau-weißlich und interpretationsbedürftig. Allerdings hätte das auch nie anders sein können, denn etwas anderes konnte Huygens überhaupt nicht leisten. Aber die Medien wussten das nicht. Keiner hatte ihnen gesagt, wie die Qualität ausfallen wird, was es überhaupt bedeutet, aus diesen eisigen, fernen Randbezirken unseres Sonnensystems auch nur ein einziges Bit an Daten zu bekommen. Trotz des mäßig tröpfelnden Applauses wird sofort klar: Es ist nicht das, was die Presse erwartet hatte.

Die ESA hätte auf jeden Fall sicherstellen müssen, dass die hunderte von Medienvertretern aus Europa und der ganzen Welt vorbereitet waren über das, was da draußen, tief im Weltraum vor sich ging. Die ESA machte bei der Präsentation der Huygens-Landung aber den gleichen Fehler, den sie immer macht. Anstatt diese womöglich größte technische Leistung in ihrer gesamten Geschichte aus der Perspektive der Menschen, die sie ermöglicht haben, darzustellen präsentierte sie das Ereignis als eine Party der europäischen Politprominenz, vermischt mit langatmigen Details esoterischer Wissenschaftsexperimente.

Die ESA hatte keine Sensationsgranate für die erste Seite der Zeitungen vorbereitet, keine knackigen Statements für die Acht-Uhr-Nachrichten in Rundfunk und Fernsehen. Die Presseleute saßen da in enttäuschter Stille und sahen ein kompliziertes Diagramm nach dem anderen durch den Beamer laufen. Für Fachwissenschaftler interessantes Datenmaterial. Für den Laien nichts sagende Schnittmusterbögen.

Entsprechend gestaltete sich denn auch die nachfolgende Berichterstattung in den Medien. Erst als die Tagesschau auch den letzten Bezirksparteitag abgehakt hatte, nachdem auch das letzte Fußball-Zweitliga-Resultat verkündet war, doch noch eine Kurzmeldung: Titan-Sonde gelandet. Nette Bilder gemacht. Berge aus Eis. Flüsse aus Methan. Dazu ein griesliges Foto, "das auch eine Scheibe Handkäs hätte sein können", wie ein frustrierter Leitartikler anderntags in einer überregionalen Tageszeitung schrieb. Danach das Wetter. Für die Temperaturen von Itzehoe, Oberstdorf und Kleinmachnow ließ sich die Tagesschau dann wieder dreimal so viel Zeit wie für die minus 190 Grad auf dem Saturnmond Titan.

Man muss sich langsam wirklich fragen, ob die ESA inzwischen jeglichen Kontakt zu ihrer eigentlichen Klientel verloren hat. Verdient der Zuschauer, und der ist als Steuerzahler gleichzeitig auch der Finanzier der gesamten Unternehmung, nicht, über die Verwendung seiner Mittel ausreichend informiert zu werden? Der Bürger will die Bilder in Echtzeit ankommen sehen. Er will die Aufregung der Projektwissenschaftler sehen, ihre Spannung und ihre Freude. Er will mit ihnen diskutieren über ihre Spekulationen und ihre Vorstellungen. Er will mit dabei sein, ganz vorne am Datenterminal. Er will spüren, was die Faszination der Raumfahrt ausmacht.

Hätte ein ähnliches Ereignis bei der NASA stattgefunden, dann wäre die Berichterstattung fokussiert gewesen auf die Bilder und die Wissenschaftler, die sie erläutern. Sie wäre fokussiert gewesen auf die aufgeweckten jungen Leute an den Konsolen, auf ihre Anspannung und ihre Begeisterung. Kein amerikanischer Medienmeister käme auf die absurde Idee die Berichterstattung eines solchen Ereignisses fast ausschließlich auf Manager und Politiker auszurichten.

Die ESA hat die seit vielen Jahren beste Gelegenheit die breite Öffentlichkeit zu faszinieren, zu begeistern und für neue Ziele und Ausgaben zu motivieren, leichtfertig und unnötig vertan.

Ihr,
Eugen Reichl

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