Die Vorstandsecke

Halb voll oder halb leer?

Die Frage ist Ihnen sicher geläufig: Wie beurteilen eine Optimist und ein Pessimist ein Glas, das zur Hälfte gefüllt ist? Antwort: Für den Optimisten ist das Glas halb voll, für den Pessimisten ist es halb leer.

Zwei Wochen lang gab es praktisch keine einzige Meldung über die Mission der Discovery, die nicht stereotyp mit den selben Worten begann: "Die von zahllosen Pannen begleitete Mission der amerikanischen Raumfähre …". Der Schlüssel zu dieser Interpretation der Ereignisse war meist die Übersetzung. Sprach die NASA von "points of concern" machten die deutschsprachigen Medien daraus flugs "Besorgnis erregende Schäden".

Die Verbissenheit, mit der Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen den Shuttle-Flug STS 114 um jeden Preis zum Desaster machen wollten, ist schon fast pathologisch zu nennen.

Die Reporter dachten auch gar nicht daran, im Verlauf der Mission ihre Meinung der Realität anzupassen. Die Münchner TZ beispielsweise titelte in tragischem Duktus: "Drama um Discovery: Mama komm nach Hause", so, als könnten Eileen Collins' Kinder kaum noch mit einer sicheren Rückkehr ihrer Mutter rechnen.

Welch groteske Verdrehung der Tatsachen. Tatsächlich hat einer der erfolgreichsten Flüge des amerikanischen Shuttle-Programms stattgefunden. Die Beschädigungen an der Außenhaut der Fähre, die konstruktionsbedingt nie ganz abgestellt werden können, lagen nur bei 15 Prozent der bei früheren Einsätzen festgestellten Werte. Praktisch alle Aufgaben, die an Besatzung und Fahrzeug gestellt waren, wurden zu 100 Prozent erfüllt.

Sicher, es haben auch einige Dinge nicht so funktioniert wie geplant. Bei einem Testflug kann das nicht anders erwartet werden. Wie bekannt löste sich ein größeres Stück Isolierschaum vom Außentank. Das ist nicht erfreulich, und muss behoben werden. Aber die NASA weiß: Der Shuttle ist ein Auslaufmodell. Sein Nachfolger ist bereits auf den Zeichenbrettern.

Bis der aber kommt, müssen die Raumfähren noch einige Male fliegen. Trotz ihrer Schwächen. Schließlich wollen gerade die Europäer, die jetzt wieder ausgiebig in allen Publikationen über Sinn und Unsinn der bemannten Raumfahrt räsonieren, dass die ISS fertig gestellt wird. Und auch das Hubble Space Telescope braucht bald wieder einen Wartungsbesuch. Missionen, die ohne den Shuttle unmöglich sind.

Wer meint, dass die Mission der Discovery nichts anderes als ein von zahllosen Pannen geplagter Unglücksflug war, für den ist das Glas nicht halb voll. Für den ist es gar nicht vorhanden.

Ihr,
Eugen Reichl

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