Die Vorstandsecke

Auf ein Neues, Elon

Orbitalraketen sind hochkomplexe Maschinen. Sie sind sensibel. Ihre Fehlertoleranz liegt bei Null. Alle Systeme arbeiten bei extremen Temperaturen, unter hohen Drücken und in unwirtlicher Umgebung. Fällt bei einem Flugzeug ein Triebwerk aus, dann kann es im Gleitflug niedergehen. Eine Rakete stürzt ab. Strukturprobleme sind an Flugzeugen manchmal zu verschmerzen. Halb in Fetzen geschossene Militärmaschinen haben es bisweilen noch zu ihren Heimatbasen geschafft. Ein Strukturfehler bei einer Rakete führt unweigerlich zum Absturz. Man kann es drehen und wenden wie man will. Orbitalraketen haben ihre eigenen Gesetze: Entweder klappt alles hundertprozentig beim ersten Versuch, oder die Sache wird ein Desaster. Zwischendrin gibt es nichts. Das musste am 24. März auch Elon Musk erleben.

Als die Falcon 1 bei ihrem ersten Einsatz weniger als einer Minute nach dem Liftoff in das Riff des Omelek Atolls krachte, war das für alle enttäuschend, aber doch nicht ganz unerwartet. Seit Beginn des Raumfahrtzeitalters ist ziemlich genau der Hälfte aller Trägerraketen beim Erstflug gescheitert. Das war so bei der Vanguard, der Scout, der Kosmos, den japanischen Raketen Lambda 4S und der Mu-4S. Es war so bei den europäischen Modellen Europa 1, Ariane 5 G und Ariane 5 ECA. Die Ariane 1 schaffte zwar den Erstflug erfolgreich, stürzte aber dafür aber gleich bei der zweiten Mission ab. Auch die Thor, die Vorgängerin des Erfolgsmodells Delta, überstand ihren Erstflug nicht. Und sie versagte bei den darauf folgenden zehn Flügen gleich noch weitere sieben Mal. Heute gehört die Delta zu den sichersten und erfolgreichsten Trägersystemen weltweit.

Beim Absturz der Falcon gibt es allerdings ein nicht unbedeutendes Zusatzproblem. Hier steht nicht ein Staat mit nahezu unbegrenzten Mitteln für die Entwicklung ein. Hier finanziert ein einzelner Privatmann die Sache: Eben Elon Musk. Und so reich er auch sein mag, und so viel Begeisterung er auch mitbringt: Irgendwann kommt der Punkt, an dem er die Waffen strecken muss.

In der langen Liste von Trägerraketen, die beim Erstflug scheiterten, ist auch die Conestoga. Sie war ein viel versprechendes Konzept von Privatleuten um den Astronauten Deke Slayton. Die Gruppe von Entrepreneuren konnte sich aber nur einen Versuch leisten. Der scheiterte, und Conestoga machte Pleite.

Gott sei Dank ist es diesmal anders. Elon Musk, der Gründer und Besitzer von SpaceX hat eine solide finanzielle Basis. Und Standvermögen. Nach dem Fehlstart meinte er: "Wir werden den Vorfall analysieren, wir werden den Fehler finden und beheben… und wir werden wieder starten. Ich kann nicht genau sagen wann, aber ich denke, dass das in weniger als sechs Monaten der Fall sein wird".

Was war passiert: Die Rakete war in senkrechtem Steigflug gewesen und noch nicht auf die geplante Bahn über den Ozean hinaus geschwenkt, als das Triebwerk ausfiel. Sie stürzte somit auch wieder auf geradem Wege herunter, und schlug keine 80 Meter vom Startplatz entfernt in das Riff des Omelek Atolls. Jetzt ist die Rakete zwar schwer verbeult, steht aber nichtsdestotrotz für Untersuchungen zur Verfügung.

Gleich beim Abheben gab es ein Feuer in der Nähe des Erststufentriebwerks, offensichtlich verursacht durch eine Leckage in der Treibstoffleitung. Dieses Feuer fraß sich in das Helium-system, der Treibstoffdruck fiel, und 29 Sekunden nach dem Liftoff schloss sich das durch Federkraft offen gehaltene Regelventil zum Haupttriebwerk und legte dieses still.

Besonders skurill ist das Ende der Geschichte: Sie erinnert an den Erstflug der Vanguard 1 im Jahre 1958. Die Nutzlast der Falcon, der Falconsat 2-Satellit, wurde beim Aufschlag der Rakete weggeschleudert, flog in hohem Bogen auf einen Maschinen-Unterstand, durchschlug die Decke des Gebäudes und landete weitgehend intakt auf dem Boden. Beim missglückten Erstflug der Vanguard war seinerzeit der Satellit ebenfalls von der Rakete weggeschleudert worden aber intakt geblieben.

Diese kleine Randnote hat das Zeug dazu, später einmal zu einer der Mythen der jungen privaten Raumfahrt zu werden. Eine Geschichte, wie dazu geschaffen, in den Bars und Kneipen der gerade entstehenden privaten Weltraumhäfen erzählt zu werden. In diesem Sinne zeigten sich die jungen Leute von SpaceX zwar enttäuscht aber keineswegs entmutigt. Die Stimmungslage nach dem spektakulären Fehlstart war: Das kriegen wir schon gebacken.

In diesem Sinne: Auf ein Neues, Elon.

Ihr,
Eugen Reichl

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