Die Vorstandsecke

Tor des Monats

Eugen Reichl Ein Hoch auf Günter Verheugen. Gäbe es einen Preis für den „Tor des Monats“ (nein, kein falscher Gebrauch des Artikels) in Sachen Raumfahrt, Günter Verheugen hätte den Preis für den Juni schon mal abgeräumt.

SPD-Mann Verheugen hat in letzter Zeit in der EU eher durch Ämterpatronage als durch energisches Agieren in seinem Fachbereich von sich Reden gemacht. Offiziell ist er als Vizepräsident der Kommission zuständig für Unternehmen und Industrie. Das scheint allerdings nicht den Bereich Raumfahrt zu beinhalten, denn wie sonst wären seine Worte vom letzten Samstag zu verstehen.

"Mir gefällt das Thema nicht. Es verdient keine Unterstützung. Das ist ausschließlich eine Sache für die Superreichen und damit gegen meine soziale Überzeugung".

Mit diesen Worten kommentierte Verheugen die vor wenigen Tagen veröffentlichten Pläne der EADS zum Weltraum-Tourismus.

Objekt der harschen Kritik sind die Absichten von Astrium, der Raumfahrtsparte der EADS, ein Raketenflugzeug zu entwickeln, das "Touristen" eine kurze Stippvisite in den Weltraum ermöglicht.

Weiter sprach er von "Mätzchen für eine reiche Elite" und äußerte seine "starken Vorbehalte, denn dies wird immer eine sehr privilegierte Art des Tourismus sein".

Das suborbitale Astrium-Raumfahrzeug (von dem bislang nur Zeichnungen und ein Kabinen-Mockup existieren) hat in etwa die Größe eines Business-Jets. Es kann bis in Höhen von 100 Kilometern vorstoßen und bietet vier oder fünf Passagieren alle Aspekte eines Raumfluges, wenn auch nur für wenige Minuten.

Mit einem Preis von anfänglich 150 - 200.000 Euros pro Flug und Person wird dieses Erlebnis zunächst nur einer relativ kleinen Schicht wohlhabender Bürger zugänglich sein. Marktstudien unabhängiger Institute zeigen aber, dass selbst bei diesem Preis mehrere tausend Menschen jährlich bereit sind, den Trip ins All zu unternehmen.

Astrium ist dabei weder der erste noch der einzige Anbieter auf dem Markt. Weltweit sind mehr als ein dutzend Unternehmen dabei, ähnliche Raumfahrzeuge zu entwickeln, und die meisten sind mit ihren Entwicklungen schon erheblich weiter als Astrium. Rocketplane-Kistler und Virgin Galactic beispielsweise werden noch in diesem Jahr ihre Fluggeräte der Öffentlichkeit vorstellen und mit den Testflügen beginnen.

Verheugens Argumente sind die üblichen Stereotypen, die man von an Raumfahrt desinteressierten Menschen gelegentlich hört. Am Stammtisch ist das tolerabel, da ist auch völlige Unkenntnis der Sachlage erlaubt. Bei einem für Unternehmensentwicklung und Wirtschaft zuständigen EU-Kommissar ist ein Statement dieser Art aber jenseits der Erträglichkeitsgrenze.

Natürlich ist "Space Tourismus" für's erste keine Urlaubsidee für Harz IV-Empfänger. Es ist aber auch keineswegs nur eine Sache für Multimillionäre. Schon heute leisten sich zehntausende von durchaus nicht "superreichen" Menschen Dinge in der Preisklasse einer kleinen Immobilie (oder einigen wenigen Verheugen'schen Monatsgehältern) wenn sie sich einen lang gehegten Traum erfüllen. Sei es der Porsche Carrera, die Expedition zum Everest oder ein Kunstwerk. Warum also nicht auch einen suborbitalen Raumflug?

Und was bitte ist so schlecht daran, dass die so genannten "Superreichen" die Vorreiter in diesem neuen Business sind. Sie waren es doch bisher auch schon jedes Mal, wenn technische Neuheiten eingeführt wurden. Wir brauchen die wohlhabenden Erstanwender, denn sie amortisieren die Entwicklungskosten. Wir Normalbürger brauchen dann eine Weile später nur noch die Grenzkosten zu tragen. Es gelingt mir nicht, nachvollziehen, was daran unsozial sein sollte.

Schon wenige Jahre nach der Einführung des suborbitalen Weltraumtourismus werden die Preise stark fallen. Auch die ersten Autos kosteten ein Vermögen bis durch die Massenproduktion das Ford T-Modell für die breite Basis der Bevölkerung erschwinglich wurde. Nicht anders war es bei Flugreisen, Fernsehern und Videorekordern.

Als sich mein Vater im Jahre 1959 seinen ersten VW-Käfer leisten konnte, für genau 4.998 Mark, kostete ein Flug in die USA mit der Super-Constellation mehr als doppelt soviel wie der Kugelblitz aus Wolfsburg.

Glücklicherweise gab es damals keine hyperkorrekten EU-Kommissare, die dafür plädierten, den Flugverkehr umgehend einzustellen, weil es sich dabei um eine Fortbewegungsart für Superreiche handelte.

Die neuen privat entwickelten suborbitalen (und später auch orbitalen) Raumfahrzeuge geben dem Bürger das, was der Staat in fünf Jahrzehnten nicht vermochte. Der Steuerzahler durfte die Raumfahrt zwar bezahlen. Daran teilhaben durfte er aber nicht. Firmen wie Astrium, Rocketplane und Virgin Galactic verschaffen mit ihrer Initiative auch dem normalen Menschen Zugang zum Weltraum. Sie erfüllen ihm damit einen oft lebenslang gehegten Traum. Und das soll unsozial sein?

Die Sache hat aber auch ein wirtschaftliches Potential, das gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Denn sobald eine "Massenanwendung" für den Raumtransport existiert, werden auch automatisch die Preise dafür drastisch sinken. Wissenschaftliche Institute, Hochschulen und Industrie können es sich dann plötzlich leisten, selbst Satelliten zu bauen und Experimentier- und Produktionsvorrichtungen in den Weltraum zu senden.

Der seit Jahrzehnten bestehende unglückliche Status Quo des Raumtransports könnte endlich durchbrochen werden. Bislang gab es zu wenige Nutzlasten weil der Raumtransport so teuer war. Und der Raumtransport war deshalb so teuer, weil es zu wenige Nutzlasten gab. Im Kielwasser des Space Tourismus hat die Raumfahrt jetzt die Chance zu einem ungeahnten Aufschwung. Ganz neue Industrien mit zahllosen hochqualifizierten Arbeitsplätzen könnten entstehen.

Doch das ist noch Zukunftsvision, zunächst einmal braucht dieses neue Business einen Kickstart. Und der sollte nicht darin bestehen, dass Herr Verheugen der Industrie kräftig vor das Schienbein tritt.

Sir Richard Branson ist Gründer der vorhin erwähnten Firma Virgin Galactic. Als Europäer kennt er die Bürokraten vom Schlage eines Günter Verheugen nur allzu gut. Er machte deshalb von vorneherein keinerlei Anstalten, seine neue Unternehmung in Europa anzusiedeln. Lieber legt er sein Geld, vorläufig eine viertel Milliarde Euro, in den USA an. Dort steht man dem Thema aufgeschlossen gegenüber und hat in kurzer Zeit ein positives Umfeld für die Durchführung der suborbitalen Raumfahrt geschaffen.

Nichts davon auf dem alten Kontinent. Hier ist zu befürchten, dass Verheugen und Co das gerade aufkeimende Pflänzchen "Private Raumfahrt" mit Vorschriften, komplexen Regularien und Verboten überziehen werden. Und sei es nur darum es den "Superreichen" mal so richtig zu zeigen.

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