Die Vorstandsecke

13.01.2011 - EPOXI besucht Hartley

Eugen Reichl, VFR-Vorstandsrat

Zum fünften Mal in der Geschichte der Raumfahrt hat eine Raumsonde den Kern eines Kometen aus der Nähe fotografiert. Die NASA-Raumsonde EPOXI, ein Vehikel von der Größe eines Kleinwagens, absolvierte dabei am 4. November, gegen 15:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit, einen Vorbeiflug am Kometen Hartley. Zwei optische Instrumente waren dabei auf den Kern ausgerichtet, um Bilder hoher Auflösung anzufertigen.

Die Relativgeschwindigkeit zum Kometen betrug 12,3 Kilometer pro Sekunde, entsprechend etwa 44.000 Kilometern pro Stunde. Die geringste Entfernung betrug 700 Kilometer. Auf diese Distanz war es möglich, Oberflächendetails von nur noch sieben Metern Größe auszumachen.

Hartley 2 wurde als Ziel ausgewählt, da er sich von den bisher genauer untersuchten Kometen Halley, Borely, Tempel 1 und Wild 2 deutlich unterscheidet. Er ist der kleinste Himmelskörper dieser Art, der bisher besucht wurde. Der Kern ist nur etwa 2,2 km lang, weist aber eine hohe Aktivität auf.

Die Karriere von EPOXI begann am 12. Januar 2005. Damals startete das Raumfahrtzeug unter der Bezeichnung „Deep Impact“ zum Kometen Tempel 1 und traf dort am 3. Juli des selben Jahres ein. Kurz vor der Begegnung mit dem Schweifstern setzte die Raumsonde damals einen 730 Kilogramm schweren Impaktor aus, der sich selbst in den Nukleus des Kometen steuerte und dort einschlug. Deep Impact beobachtete damals den Einschlag und nahm mit ihren Messinstrumenten spektroskopische Analysen des ausgeworfenen Materials vor.

Nach Abwurf des Impaktors hatte die Raumsonde noch eine Masse von etwa 600 kg bei Abmessungen von 3,3 mal 1,7 mal 2,3 Metern. Hinzu kommen zwei Solarzellenausleger mit knapp 8 m² Fläche und einer mittleren Leistung um 750 W.

Nach dem Vorbeiflug war die Raumsonde noch in guter Verfassung, und die Wissenschaftler auf der Erde überlegten, wie das Raumfahrzeug weiter zu nutzen wäre. Schließlich entschied man sich für die Durchführung der so genannten EPOCh-Mission, bei der die Bordinstrumente zur Beobachtung bekannter Exoplaneten eingesetzt wurden. EPOCh steht für Extrasolar Planet Observation and Characterisation (Beobachtung und Charakterisierung extrasolarer Planeten). Daran schlossen sich die Deep Impact eXtended Investigations (DIXI) an. Aus beidem wurde das Kunstwort EPOXI zusammengezogen, und damit entstand der Name des Raumfahrzeugs für seine zweite Inkarnation.

Die wissenschaftliche Ausrüstung besteht aus einem hochauflösenden abbildenden System mit einem 30-cm-Spiegel, dessen gesammeltes Licht simultan auf einen optischen Sensor mit 1 Megapixel und ein Infrarot-Spektrometer zur Materialanalyse gelenkt wird. Das zweite Instrument ist ein abbildendes System mittlerer Auflösung (mit einem 12-Zentimeter-Spiegel) mit größerem Sichtfeld, in dem der Komet auch bei der größten Annäherung von etwa 700 Kilometern komplett erscheint. Außerdem will man mit diesem Instrument auch Teile des Kometenschweifs erfassen.

Kometen bestehen vorwiegend aus Wassereis, gefrorenem Kohlenstoffdioxid und Silikaten. Sie vagabundieren die meiste Zeit ihrer Existenz in den kalten äußeren Bereichen unseres Sonnensystems, weshalb sich ihre Zusammensetzung seit ihrer Entstehung vor Jahrmilliarden kaum verändert hat. Man kann durch sie viel über die Urmaterie des Sonnensystems lernen, ein Grund, warum sie ein beliebtes, allerdings schwer zu erreichendes Ziel der Raumfahrt sind.

Die unmittelbare Beobachtung von Hartley 2 durch die Instrumente von EPOXI begann am 5. September. Seit dem 1. Oktober wurden täglich etwa 2.000 Bilder gewonnen. 50 Minuten vor dem geringsten Abstand richtete der Bordcomputer die beiden Kameras genau auf den Kometen aus. In dieser Phase bestand keine Verbindung mehr zur Erde über die Hochgewinnantenne. Allerdings konnten Basis-Telemetriedaten des Raumfahrzeugs noch über die allerdings sehr leistungsschwache Rundstrahlantenne des 70 Lichtsekunden entfernten Raumfahrzeugs empfangen werden.

Dreißig Minuten nach dem Vorbeiflug drehte sich die Sonde wieder zur Erde und begann mit der Übertragung der gewonnenen Daten. In diese Aktion eingebunden waren drei Stationen des NASA-Deep Space Networks. Insgesamt wurden in den drei Tagen der größten Annäherung 5.788 Bilder gemacht, die eine Datenmenge von 1,5 Gigabyte repräsentieren.

Die gewählte Vorbeiflugentfernung stellt einen „Tradeoff“ dar, ein Abwägen verschiedener Faktoren, dessen Ergebnis die optimale Distanz ist. Hier waren es beispielsweise die maximal mögliche Drehrate des Raumfahrzeugs, das bei der hohen Vorbeiflugfahrt ja den Kern des Kometen immer im Auge behalten soll. Oder die Vermeidung von Zusammenstößen mit Partikeln, die sich vom Kometen lösen, und möglicherweise das Raumfahrzeug zerstören könnten. Gerade letztere Gefahr ist nicht unerheblich, weil Hartley 2 ein ungewöhnlich aktiver Komet ist.

Hartley 2 zeigte sich als praktisch kraterfreier Himmelskörper mit einer ungewöhnlichen Hantel- oder Erdnussform. Insbesondere der Steg zwischen den beiden „Hantelgewichten“ ist glatt und konturlos. Die Kometen Tempel 1, Borelly und Wild 2 die ebenfalls schon von Raumsonden untersucht worden waren, waren Körper von etwa sieben Kilometer Durchmesser und wiesen verkraterte Oberflächen auf. Vom Halley’schen Kometen, der mehr als 13 Kilometer groß ist, konnten seinerzeit keine hochauflösenden Bilder gewonnen werden, nachdem die Raumsonde Giotto von einem Staubpartikel getroffen worden war.

Die ursprüngliche Deep Impact Mission kostete 267 Millionen Dollar, dazu kamen noch einmal 85 Millionen Dollar für die Delta 2-Trägerrakete. Die EPOXI-Mission kam dagegen nur noch auf 42 Millionen Dollar, die zum größten Teil aus den Personalkosten des Kontrollteams in den letzten drei Jahren bestand.

EPOXI ist weiterhin gut in Form und soll – so NASA-Wissenschaftschef Ed Weiler – weiterhin für Forschungszwecke eingesetzt werden. Allerdings reicht der Treibstoff nicht mehr für eine Kometenmission. Ed Weiler denkt daher daran, das leistungsstarke Teleskop von EPOXI zukünftig für die Asteroidenerkundung einzusetzen. Das Raumfahrzeug hat noch eine geschätzte Lebensdauer von etwa elf Jahren. Begrenzender Faktor ist hier die Menge an Lageregelungstreibstoff an Bord des Fahrzeugs.

Derzeit befindet sich übrigens eine weitere „gebrauchte“ Kometensonde auf dem Endanflug zu einem Schweifstern. Die Raumsonde Stardust, die Materialproben aus der Coma von Tempel 2 entnahm, soll am 14. Februar kommenden Jahres den Kometen Tempel 1 anfliegen, den selben, den die Raumsonde Deep Impact mit einer Einschlagsonde untersuchte. Speziell das damals erzeugte Loch soll genauer untersucht werden. Beim Vorbeiflug von Deep Impact war das seinerzeit wegen des ausgeworfenen Staubs und der schnell zunehmenden Entfernung nach dem Vorbeiflug nicht mehr möglich gewesen. Tempel 1 wäre dann auch der erste Komet, der zum zweiten Mal besucht wird.

Eugen Reichl, VFR-Vorstandsrat

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